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Was ist eigentlich ein „bullshit job“?

  • Dr. Ingo Seidner
  • 22. Mai 2020
  • 3 Min. Lesezeit

Seit der "Corona Krise" wissen wir, was ein systemrelevanter Beruf ist. Aber was ist eigentlich ein "bullshit job?"


In seinem Essay mit dem Titel „bullshit jobs – a theory“ nimmt David Graeber ein Phänomen der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft aufs Korn. Verkürzt ausgedrückt ist ein „bullshit job“ ein Job, der keinen Unterschied macht – die Welt wäre genauso schlecht oder sogar besser ohne ihn und das Unternehmensergebnis würde sich um keinen Cent ändern, wenn es diesen Job nicht geben würde.


Das Buch ist deshalb lesenswert, weil es einen Nerv der Zeit trifft. Was ist Arbeit und wie wird oder soll sie in der Zukunft aussehen? Diese Frage ist derzeit Gegenstand ganzer Bibliotheken von Beratungsliteratur, geschrieben von Experten aller Couleur und von Utopisten, die uns erklären, was sich wie und warum im Zuge der 4. Industriellen Revolution ändern wird und ändern muss.


Graeber ist kein Utopist, sondern Anthropologe. Er geht in seiner Analyse mit der aktuellen Arbeitswelt wenig zimperlich um. Zwar lässt er eine genaue Definition dessen, was ein „bullshit job“ ist, mehr im Diskursiven. Er zeigt aber auf, welche Jobs von Menschen als sinnlose und nervtötende Tätigkeit erfahren und welche es – nach objektivierten Maßstäben – auch tatsächlich sind. Und zwar auch dann, wenn er von denjenigen, die ihn erledigen, für sehr sinnvoll gehalten wird. Gerade den von Effizienz und Profitabilität getriebenen Unternehmen sollte das zu denken geben. Doch geht es Graeber nicht nur um überflüssige Jobs und damit um überflüssige Kosten. Menschen, denen bewusst ist, sinnlose oder sogar sozialschädliche Tätigkeiten auszuführen oder daran mitzuwirken, werden krank.

Es mag viele Menschen geben, die das hassen, wofür sie bezahlt werden. Sie tun es, weil sie Miete oder ein Haus bezahlen und den Kühlschrank auffüllen müssen. Weil sie der Familie Urlaube und Ausbildung bieten wollen oder schlichtweg an ein besseres Leben als Rentner glauben. Vielleicht auch, weil sie den Wunsch haben, zu etwas dazuzugehören, was sich allgemeiner Anerkennung sicher ist: Der Gruppe derjenigen angehören, die einen Job haben – die also für eine Tätigkeit, die sie ausführen, bezahlt werden. In einer Gesellschaft, in der Geld die Maßeinheit für Wertschätzung ist, ist das nachvollziehbar.


Was wird die Digitalisierung in diesem Zusammenhang bringen? Hier kann man nur Vermutungen anstellen. Wird sie „bullshit jobs“ vernichten und dafür andere „bullshit jobs“ schaffen? Dass Sachbearbeiter durch Algorithmen ersetzt werden, gilt als sicher. Dass so mancher Manager, der einen „bullshit job“ macht, mehr Aufwand für seine Tarnung wird aufbringen müssen, auch.


Interessant bei der Betrachtung ist der so oft beschriebene und gesuchte Sinn der Arbeit abgekoppelt vom reinen Broterwerb. Der Psychiater Victor Frankl hat die von ihm entwickelte Logo-Therapie unter den Grundsatz gestellt, dass man den Sinn im Leben nicht suchen kann, sondern jeder selbst darüber entscheidet, was für ihn Bedeutung hat. Das sei, so Frankl, so ziemlich die einzige Freiheit, die der Mensch wirklich hat. Alles andere ist mehr oder weniger vom Zufall abhängig. Was wirklich ist, hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Nur in der Interpretation dessen, was der Mensch glaubt wahrzunehmen, hat er die Wahl. Das gilt auch für die Arbeit. So mancher „Fomularausfüller“ mag seinen Job mögen. So mancher Anwalt oder Werbetexter den seinen nicht. Die Vielschichtigkeit von Arbeit als zeitausfüllendes, sinnspendendes, soziales und existenzerhaltendes Erleben kommt bei Graeber ein wenig zu kurz. Am Ende steht auch bei ihm das bedingungslose Grundeinkommen, was den Menschen vor zermürbenden „bullshit Jobs“ retten soll. Die Frage ist nur, ob der Mensch dafür gemacht ist, ruhig gestellt zu werden. Ich glaube es nicht.

 
 
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